Wer nicht vorbeugt, hat das Nachsehen: Dr. Andreas Hackethal im Gespräch mit Michael Reeg

20.06.23

Bei ihrer Verrentung wird sich für viele Deutsche das Nettoeinkommen von einem Tag auf den anderen halbieren. Prof. Dr. Andreas Hackethal und sein Team von Wissenschaftlern und Finanzexperten arbeitet an einem „Renten Cockpit” – also an einer App, die nicht nur transparent macht, wer im Alter wieviel zu erwarten hat, sondern wichtiger noch: die aufzeigt, wie sich Versorgungslücken schließen lassen. Im Gespräch mit Michael Reeg, dem CEO von Hoesch und Partner, erklärt Hackethal, was die App alles kann.


Folge 9: Andreas Hackethal über Alternativen zur Rentengarantie - Prof. Corner – Der Podcast | Podcast on Spotify 


Prof. Dr. Andreas Hackethal, Professor for Personal Finance an der Goethe Universität in Frankfurt und Direktor des Pension Finance Centers, arbeitet mit seinem Team an einer App, die dem Nutzer auf einen Blick zeigt, wie es um seine Altersvorsorge bestellt ist. Wer sich um seine finanzielle Zukunft Gedanken macht, bekommt mit dem „Renten Cockpit” ein Tool an die Hand, mit dem es sich richtig gut planen lässt.

„Ich habe ein großes Thema“, sagt der Finanzprofessor und Rentenexperte Prof. Dr. Andreas Hackethal, „ich will die finanzielle Situation der Menschen da draußen verbessern“. Warum macht der Mann sich solche Gedanken um unsere Altersvorsorge? Schließlich haben wir doch Politiker, die sich um die Sicherung der Renten kümmern müssen und wir haben Instrumente wie die Riesterrente, die sogar mit einer Beitragsgarantie antritt: Riestersparer bekommen mindestens das zurück, was sie einbezahlt haben.

Diese Annahmen vieler Bürger bergen mehr als eine Falle, sagt Prof. Hackethal. Erstens wirke sich so ein Garantieversprechen auf die Rendite aus, denn auf Grund der Niedrigzinsen waren die Erträge in den vergangenen Jahren minimal. Zweitens knabbere die derzeit hohe Inflation so sehr am Kapital, dass sich viele mit Minuserträgen konfrontiert sehen. Und drittens gelte es, die demografische Situation im Blick zu halten: Immer weniger junge Arbeitnehmer müssen mit ihren Rentenbeiträgen immer mehr Rentner versorgen. Sich auf die Politik und ihre Lösungen zu verlassen, ist daher riskant.

Hackethal verweist auf die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), die die Pensionssysteme der Mitgliedsländer analysiert hat und sich dabei die Nettoerwartung angesehen hat. Für den Durchschnittsverdiener in Deutschland stehen da 50 Prozent des letzten Gehalts. „Im Klartext heißt das: die Leute werden bei ihrer Verrentung von einem Tag auf den anderen netto nur noch die Hälfte ihres Einkommens zur Verfügung haben“, erläutert Prof. Hackethal. „Viele Menschen müssen sich also gewahr werden, wie groß ihre Versorgungslücke im Alter tatsächlichen ausfallen könnte, denn fast alle Studien zeigen, dass die Menschen eher 70 Prozent des letzten Einkommens benötigen, wenn sie klarkommen wollen.“

Die Frage für viele Bürger lautet also: Was kann ich tun, damit ich im Alter nicht in finanzielle Probleme hineinlaufe? Hackethal und sein Team aus Wissenschaftlern und Finanzexperten wollen helfen, Antworten zu finden. Sie haben mit Partnern wie BASF und Fraport, ING und Fidelity, Brigitte und Finanztip ein so genanntes „Renten Cockpit“ entwickelt, mit dem sich nicht nur die künftige Rentenerwartung berechnen lässt, sondern auch der Beitrag, den Aktienpakete, Fondssparpläne, Immobilien oder Versicherungen zur Altersversorgung leisten werden. Derzeit wird die App getestet, bis Ende des Jahres soll ein Prototyp online gehen.

Konkret wird das Tool die neueste Technologie nutzen, um drei Fragen zu beantworten:

  • Reicht meine Rente?
  • Was kann alles passieren?
  • Was ist der nächste Schritt – was kann ich tun?

Der Clou an dem Angebot ist, dass der Nutzer aus tausenden von so genannten „Doubles“ erst einmal einen „Stellvertreter“ auswählen kann, dessen Situation der eigenen am meisten ähnelt. Ist der gefunden und beim Nutzer ein erster Eindruck entstanden, wie das Tool funktioniert, kann er oder sie seine persönlichen, individuellen Daten hinterlegen, um detailliert zu erfahren, wie es um die eigene finanzielle Zukunft bestellt ist. „Unsere Double sind sehr konkret, das geht bis hin zu Wertpapierdepots mit verschiedener Performance, dazu Immobilien und Versicherungsprodukte“, sagt Hackethal. „So sehen die User schnell, was das System kann und sind dann motiviert, ihre eigenen konkreten Daten zu verlinken.“

„Wir werden keine Produkte empfehlen, denn wir sind keine Finanzberater“, sagt Prof. Hackethal, „aber wir können mit der App Szenarien durchspielen. Es geht ja bei vielen um einen langen Zeithorizont bis zur Verrentung, und da ist es wichtig, mögliche Eventualitäten in Betracht zu ziehen. Also Themen durchzuspielen wie: Was wäre bei einem Aktiencrash, bei einer Berufsunfähigkeit, oder wenn die Inflation weiter so galoppiert?“

Das System kann außerdem generelle Empfehlungen aussprechen, wie sich die individuelle Situation verbessern ließe. „Wir können Ansatzpunkte liefern, damit die Leute nicht blind im Nebel herumstochern bei der Frage, wo sie im Alter finanziell stehen werden“, sagt Hackethal. Eine Empfehlung könnte zum Beispiel sein, länger zu arbeiten. Das gelte vor allem für die Frauen, die wieder ins Arbeitsleben zurückkommen könnten, um so ihr Lebenseinkommen zu verbessern.

Was würde Prof. Hackethal jemandem raten, der feststellen muss, dass seine Rente nicht so hoch ausfallen wird, wie erwartet? „Die Deutschen sind wie gebrannte Kinder. Der verpfuschte Börsengang der Deutschen Telekom seinerzeit und unlängst das Desaster um Wirecard haben dafür gesorgt, dass Aktien für viele als Teufelszeug gelten.“ Doch wer einen langen Anlagehorizont habe, sei mit Aktien oder aktienbasierten Fonds immer noch am besten beraten.

"Schauen Sie sich den berühmten Chef von Berkshire Hathaway an. Warren Buffett ist ja auch erst im Alter so enorm reich geworden. Das liegt daran, dass der Mann seit 70 Jahren in Qualitätsaktien investiert“, erklärt Hackethal. Es heiße also früh anzufangen mit der Vorsorge, um den Zinseszins zu nutzen. „Wer mit Aktien sieben Prozent Rendite im Jahr erzielt, verdoppelt sein Vermögen alle zehn Jahre."

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